Fördern & Wirken
Energiegenossenschaften: So wird Bürgerkapital zum Hebel für die Energiewende
Wie Energiegenossenschaften privates Kapital mobilisieren und Bürger:innen ermöglichen, die Energietransformation aktiv, regional und demokratisch mitzugestalten.
17.10.25
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8 Minuten
Die Energiewende in Deutschland braucht nicht nur politischen Willen und technologische Innovation – sie braucht vor allem Kapital. Während institutionelle Investoren und Energiekonzerne wichtige Akteure sind, bieten Energiegenossenschaften eine wirkungsvolle Ergänzung, die Bürgerinnen und Bürger zu aktiven Gestaltern der Energiezukunft macht. Energiegenossenschaften spielen auch eine zentrale Rolle für das Gelingen einer dezentralen Energiewende, weil die komplexen Anforderungen an die Infrastruktur im Sinne der Subsidiarität vor Ort am besten gelöst werden können.
In diesem Beitrag wird erläutert, was Energiegenossenschaften sind, wie sie dazu beitragen, die Transformation sozial und gemeinwohlorientiert zu stemmen und warum sie eine zentrale Rolle für das Gelingen der Energiewende spielen. Denn die Herausforderungen der Energiewende sind groß, aber der Schlüssel liegt insbesondere in der regionalen Umsetzung - gemeinschaftlich durch die Bürgerinnen und Bürger.
Ein Gastbeitrag von valueverde.
📚 Inhalt
Die Finanzierungslücke in der Energiewende
Was funktioniert eine Energiegenossenschaft?
Die Macht des kollektiven Engagements
Case Study: egis eG und BürgerEnergie Berlin
Barrieren beim Marktzugang überwinden
Digitalisierung als Katalysator
Fazit: Saubere Energie und aktive Mitgestaltung
Die Finanzierungslücke der Energiewende
Die Energiewende ist eine gewaltige Investitionsaufgabe. Laut einer Studie des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (bdwe) gemeinsam mit dem Verband Kommunaler Unternehmen (vku) werden zwischen 2022 und 2030 zusätzlich rund 720 Milliarden Euro für die Energiewende benötigt. Bis 2050 summiert sich der Gesamtbedarf auf etwa 13,2 Billionen Euro. Diese Summen übersteigen die Möglichkeiten öffentlicher Haushalte und traditioneller Energieversorger, insbesondere Stadtwerke deutlich. Denn die finanzielle Lage der Stadtwerke ist akut angespannt.
Institutionelle Investoren können einen Teil dieser Lücke schließen. In diese Richtung gibt es erste Ideen - von der LBBW (Landesbank Baden-Württemberg) bis hin zum angedachten Energiewende-Fonds von Deloitte. Was alle gemein haben, ist fehlender regionaler Bezug und fehlende demokratische Teilhabe an der Transformation.
Genau hier setzen Energiegenossenschaften an: Sie mobilisieren privates Kapital und schaffen gleichzeitig lokale Wertschöpfung und Identifikation mit den Energieprojekten. Außerdem gilt der genossenschaftliche Grundsatz, dass jedes Mitglied eine Stimme hat, unabhängig von der Höhe der Beteiligung.
Wie funktioniert eine Energiegenossenschaft?
Energiegenossenschaften sind gemeinschaftliche Zusammenschlüsse von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen oder Kommunen, die gemeinsam in erneuerbare Energien investieren und von deren Erträgen profitieren. Sie entstehen meist lokal und ermöglichen eine dezentrale, demokratische Energiewende: Jede Stimme zählt unabhängig von der Höhe der Einlage. Statt auf Gewinnmaximierung zielen sie auf nachhaltige Versorgung, regionale Wertschöpfung und Klimaschutz. Durch ihre Struktur fördern sie Akzeptanz und Teilhabe, weil Menschen direkt an Wind-, Solar- oder Biogasanlagen beteiligt sind. Gewinne fließen oft zurück in neue Projekte oder in die Region. Energiegenossenschaften zeigen, dass Klimaschutz kein exklusives Projekt großer Konzerne sein muss, sondern durch gemeinsames Handeln in der Gesellschaft verankert werden kann. So stellen Energiegenossenschaften ein einfaches, aber wirksames Modell für die Energiewende dar.
Grundlage bildet die Rechtsform einer eingetragenen Genossenschaft organisiert. Auf die Besonderheiten dieser Rechtsform soll in folgendem Exkurs eingegangen werden.
💡Die eingetragene Genossenschaft - Besonderheiten
Eine eingetragene Genossenschaft (eG) ist eine demokratische Unternehmensform, die ihren Mitgliedern gehört. Diese Mitglieder sind gleichzeitig Investoren und können über die Geschicke der Genossenschaft mitentscheiden. Ähnlich zu einer klassischen Aktiengesellschaft (AG) – dort gehört das Unternehmen den Aktionären. Im Unterschied zu einer AG jedoch lautet das Prinzip einer Genossenschaft: „Ein Mitglied – eine Stimme“, unabhängig von der Höhe der investierten Summe. Anders als bei Aktiengesellschaften steht auch nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund, sondern der Förderauftrag: die gemeinsame Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb (zum Beispiel den Ausbau von Energieanlagen).
Genossenschaften gibt es dabei in vielen Bereichen - bekannt sind insbesondere die großen Wohnungsbaugenossenschaften und die Volks- und Raiffeisenbanken. Aber auch in der Landwirtschaft und im Handel sind Genossenschaften zu finden, ebenso wie in der Energieversorgung.
Alle Mitglieder profitieren gemeinsam vom wirtschaftlichen Erfolg. Die Erträge aus der Genossenschaft fließen als Dividende zurück an die Genossenschaftsmitglieder - typischerweise zwischen zwei und sechs Prozent jährlich. Dabei sind Genossenschaften eine robuste Unternehmensform, mit der niedrigsten Insolvenzquote aller Unternehmensformen. In einem Beitrag der Friedrich-Ebert-Stiftung heißt es, dass sie "als Anker der Stabilität und Sicherheit [...] einen Hort der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit [darstellen]". Die wirtschaftliche Stabilität liegt auch daran, dass Genossenschaften regelmäßige externe Prüfungen durch genossenschaftliche Prüfverbände durchlaufen, was Transparenz und Vertrauen herstellt.
Die Macht des kollektiven Engagements
Nach Daten des DGRV (Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband) sind über 220.000 Menschen in Energiegenossenschaften aktiv. Seit 2006 haben sie gemeinsam etwa 3,6 Milliarden Euro in den Ausbau von grüner Energieerzeugung investiert und erzeugten daraus rund 8 Terawattstunden Ökostrom. Damit vermeiden sie 3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente an Treibhausgasen. Zum Vergleich, das entspricht in etwa der Menge CO2, die eine deutsche Großstadt wie Stuttgart pro Jahr verursacht.
Diese Zahlen zeigen klar, dass Bürgerenergie längst kein Nischensegment mehr ist. Dabei dominieren Photovoltaikanlagen das Anlagen-Portfolio mit über 60 Prozent der Projekte, gefolgt von Windenergieanlagen und zunehmend auch lokalen Wärmenetzen und Speichertechnologien. Was diese Projekte verbindet: Sie bleiben in regionaler Hand und schaffen lokale Wertschöpfung.
Die finanzielle Attraktivität ist dabei nicht von der Hand zu weisen: Während klassische Sparbücher kaum noch Zinsen abwerfen und die Inflation das Ersparte auffrisst, bieten Energiegenossenschaften eine planbare Rendite bei überschaubarem Risiko. Laut DGRV liegt der Durchschnitt der Ausschüttungen bei 4 Prozent pro Jahr.
💡 Welche ist die größte Energiegenossenschaft in Deutschland?
Laut Umfrage des DGRV 2025 gibt es in Deutschland 998 Energiegenossenschaften. Deutschlands größte Energiegenossenschaft mit knapp 40.000 Mitgliedern ist Prokon eG, die in 2025 ihr 10-jähriges Jubiläum feiert.
Case Study: egis eG und BürgerEnergie Berlin
Zwei Beispiele verdeutlichen die Bandbreite erfolgreichen bürgerschaftlichen Engagements: Die egis eG (Energiegenossenschaft Inn-Salzach) und die BürgerEnergie Berlin eG verfolgen unterschiedliche Ansätze mit beeindruckenden Ergebnissen.
Die egis eG in Bayern hat seit ihrer Gründung 2009 über 2.000 Mitglieder gewonnen und mehr als 30 Millionen Euro in erneuerbare Energieprojekte investiert. Ihr Portfolio umfasst Photovoltaik- und Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von über 40 Megawatt. Die jährliche Dividende bewegt sich zwischen 3 und 5 Prozent bei einer CO₂-Einsparung von mittlerweile über 25.000 Tonnen pro Jahr.
Die BürgerEnergie Berlin, mit ihren über 3.000 Mitgliedern, wurde gegründet, um das Berliner Stromnetz zu rekommunalisieren. Und das erfolgreich! Heute betreibt sie Photovoltaikanlagen und Mieterstrom-Projekte in der Hauptstadt und zeigt, wie Energiegenossenschaften auch in urbanen Räumen funktionieren können.
Barrieren beim Marktzugang überwinden
Trotz der positiven Entwicklung stehen interessierte Bürgerinnen und Bürger vor erheblichen Zugangshürden. Die Suche nach geeigneten Energiegenossenschaften gestaltet sich oft mühsam. Informationen zu Rendite, Risiken, CO₂-Impact oder konkreten Projekten sind häufig nur schwer zugänglich oder unvollständig verfügbar.
Traditionell erfolgt der Beitritt zu Energiegenossenschaften über persönliche Kontakte, lokale Veranstaltungen oder zeitaufwändige Recherche. Diese Intransparenz schreckt potenzielle Investor*innen ab und verlangsamt das Wachstum der Bürgerenergie. Wer nicht zufällig von einer Genossenschaft in der Nachbarschaft erfährt oder intensive Recherche betreibt, bleibt außen vor und weiß oftmals gar nicht, dass es Energiegenossenschaften überhaupt gibt.
Digitalisierung als Katalysator
Die Digitalisierung kann diese Barrieren systematisch abbauen. Plattformen, die Energiegenossenschaften bündeln und transparent darstellen, schaffen eine neue Zugänglichkeit. Interessierte können verschiedene Genossenschaften vergleichen, Kennzahlen zu Rendite und Klimawirkung einsehen und sich über die jeweiligen Geschäftsmodelle informieren.
Ein Beispiel für diesen Ansatz ist valueverde, die erste digitale Handelsplattform für Energiegenossenschaften. User erhalten dort kompakte Übersichten zu Anteilspreisen, erwarteter Rendite und CO₂-Einsparung verschiedener Genossenschaften. Der Beitritt erfolgt vollständig digital – ohne langwierige Papierprozesse oder persönliche Termine vor Ort.
Solche digitalen Lösungen demokratisieren den Zugang zur Bürgerenergie und können das Wachstum des Sektors erheblich beschleunigen. Sie machen aus einer regionalen, oft exklusiven Investmentmöglichkeit eine für alle zugängliche Form des Impact Investing - mit echter und direkter Wirkung.
Fazit: Saubere Energie und aktive Mitgestaltung
Energiegenossenschaften verbinden auf einzigartige Weise individuelle Renditeerwartungen mit kollektivem Klimaschutz und bürgerschaftlichem Engagement . Sie halten wirtschaftliche Werte in den Regionen und geben Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, die Energiewende aktiv mitzugestalten.
Die Digitalisierung des Marktzugangs wird diese Bewegung weiter stärken. Plattformen, die Transparenz schaffen und Beitrittsverfahren vereinfachen, können das volle Potenzial der Bürgerenergie freisetzen. Denn das Ziel muss lauten, unsere Energieversorgung sauber, sicher und bezahlbar für alle zu gestalten.
Quellen
BDEW Studie https://www.bdew.de/energie/energie-in-europa/kapital-fuer-die-energiewende/
Kosten bis 2050 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/energiewende-investitionen-kosten-eon-100.html
Deloitte-Fonds https://www.pv-magazine.de/2024/06/03/energiewende-fonds-soll-privates-kapital-mobilisieren/
FES https://library.fes.de/pdf-files/wiso/08964.pdf
Ausschüttungen https://www.solarserver.de/2019/07/23/energiegenossenschaften-zahlen-mehrheitlich-dividende/
DGRV-Jahresumfrage Energiegenossenschaften 2025
https://www.dgrv.de/news/dgrv-jahresumfrage-energiegenossenschaften-2025/
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⚠️ Disclaimer: Wir machen keine Steuerberatung. Wir ersetzen keinen **zertifizierten Steuerberater*in. Alle Angaben ohne Gewähr.
Geschrieben von

valueverde


